Lebenswissenschaften - Gruppe von Sebastian Thallmair

Forschungsprojekte

Wir entwickeln und nutzen unterschiedliche theoretische Methoden, um biologische und (bio)chemische Systeme besser zu verstehen und vorhersagen zu können. Diese Methoden arbeiten mit verschiedenen räumlichen und zeitlichen Auflösungen, da sowohl in der Biologie als auch in der Chemie Prozesse mit unterschiedlicher räumlicher Ausdehnung und auf den unterschiedlichsten Zeitskalen ineinander greifen. Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick über unsere Forschungsbereiche.

Entwicklung grobkörniger Kraftfelder

Die grobkörnige Modellierung molekularer Systeme ist eine leistungsstarke Methode, um Einblicke in die Dynamik von (bio)molekularen Systemen auf der Nanosekunden bis (sub)-Millisekunden Zeitskala zu gewinnen. Dabei werden mehrere Atome eines Moleküls zu einer Wechselwirkungsstelle zusammengefasst, wodurch die Anzahl an Freiheitsgraden reduziert wird. Dies reduziert die Komplexität der molekularen Systeme, was außerdem zu schnellerem Abtasten des Konfigurationsraums führt.

Das meistverwendete grobkörnige Kraftfeld ist Martini, in dem alle wichtigen Klassen von Biomolekülen – Lipide, Proteine, Zucker, DNS, RNS – verfügbar sind. In Martini werden bei der Zusammenfassung mehrerer Atome zu einer Wechselwirkungsstelle vor allem die chemischen Eigenschaften der Atomgruppen berücksichtigt. Außerdem werden funktionelle Gruppen wann immer möglich in eine Wechselwirkungsstelle gruppiert. Zum Beispiel wird eine Säuregruppe nicht zwischen mehreren Wechselwirkungsstellen aufgeteilt. Diese Strategie ist der Garant für die Vielseitigkeit des grobkörnigen Kraftfelds Martini, das inzwischen nicht mehr nur für biologische Systeme eingesetzt wird, sondern sich auch in den Materialwissenschaften immer größerer Beliebtheit erfreut.

Meine Interessen liegen insbesondere im Bereich der Kraftfeldentwicklung für Lipide und Proteine. Ein wichtiger Aspekt ist dabei eine immer bessere strukturelle Modellierung von Proteinen und Lipidmembranen sowie eine Verbesserung der Flexibilität und Dynamik in Proteinen. Im Hinblick auf das Martini Proteinmodell arbeiten wir an der Kombination von strukturbasierten, grobkörnigen Modellen, wie einem Gō-artigen Modell, mit Martini 3. Darüber hinaus haben wir auch zur neuen Parametrisierung des Martini 3 Modells beigetragen.

Protein-Ligand-Wechselwirkungen

Wir sind auch an der Modellierung von Protein-Ligand-Wechselwirkungen interessiert. Ein detailliertes Verständnis der wichtigsten Beiträge zur energetischen Stabilisierung von kleinen Molekülen (Liganden) in Proteintaschen ist entscheidend für die Entwicklung neuer medizinischer Wirkstoffe. So kann die Wechselwirkung mit einer bestimmten Proteintasche gezielt verstärkt und somit die Spezifität des kleinen Moleküls für das Zielprotein erhöht werden. Außerdem ist ein detailliertes mikroskopisches Verständnis von Protein-Ligand-Wechselwirkungen auch bei der Aufklärung zellulärer Prozesse wie beispielsweise Signalprozessen von großer Bedeutung.

Wir beschäftigen uns dabei sowohl mit Modellsystemen, z.B. dem Protein T4 Lysozym, das vor allem als Testsystem zur Weiterentwicklung von Simulationsmethoden verwendet wird, als auch mit pharmakologisch wichtigen Proteinen wie G-Protein gekoppelten Rezeptoren oder Kinasen. Darüber hinaus arbeiten wir auch mit Proteinen wie dem Tubby Protein, die sehr spezifisch eine Art von Lipid binden. Mit Hilfe des Tubby Proteins, das an das wichtige Signallipid PI(4,5)P2 bindet, erforschen wir das Verhalten von Zellen nach Signalprozessen, während derer PI(4,5)P2 zunächst abgebaut wird.

Bei der Simulation von Protein-Ligand-Wechselwirkungen kommen vorwiegend grobkörnige moleküldynamische Methoden zum Einsatz, aber auch Simulationen mit atomistischer Auflösung.

Umgebungseinfluss auf molekulare Reaktivität

Die Reaktivität von Molekülen wird maßgeblich von ihrer Umgebung beeinflusst. In chemischen Systemen handelt es sich dabei häufig um das Lösungsmittel; in biologischen Systemen kann es sich beispielsweise auch um Lipidmembrane oder Proteintaschen handeln. Neben elektrostatischen Faktoren spielt auch die Flexibilität und Dynamik der Umgebung eine wichtige Rolle. Diese kann beispielsweise die für eine bestimmte Reaktion nötige atomare Bewegung blockieren und so eine alternative Reaktion erst möglich machen. Typische biochemische Beispiele sind Proteine, die mit Hilfe einer Vororientierung der Edukte nur eines von zwei möglichen Enantiomeren bilden.

Insbesondere haben wir uns mit dem dynamischen Einfluss des Lösungsmittelkäfigs auf ultraschnelle Reaktionen beschäftigt. Dabei zeigte sich, dass der Lösungsmittelkäfig die Richtung eines Bindungsbruchs entscheidend ablenken kann, so dass spezifische Punkte im Konfigurationsraum des Moleküls erreicht werden, sogenannte konische Durchschneidungen. Dort wiederum entscheidet sich die Bildung des Reaktionsprodukts. Zur Modellierung des dynamischen Lösungsmitteleinflusses verwenden wir primär quantendynamische Methoden, die wir teilweise mit klassischer Moleküldynamik kombinieren.

Lichtinduzierte Prozesse

Wir interessieren uns auch für photochemische oder -physikalische Prozesse, die von Licht initiiert werden. Die Lichtenergie kann von Molekülen aufgenommen werden und führt zu einem elektronisch angeregten Zustand oder einem angeregten Schwingungszustand. Die nun im Molekül zusätzlich vorhandene Energie kann zu einer chemischen Reaktion führen oder mittels physikalischer Prozesse wieder abgegeben werden.

Wir haben uns dabei einerseits mit lichtinduzierten Bindungsbrüchen beschäftigt, die zur Bildung reaktiver Moleküle führen. Andererseits haben wir die Kontrolle chemischer Reaktionen oder photophysikalischer Prozesse mittels speziell geformter Lichtpulse untersucht. Wir konnten beispielsweise zeigen, dass die Relaxation der isolierten RNS-Base Uracil nach UV-Bestrahlung nahezu optimal verläuft und kaum noch beschleunigt werden kann. Eine deutliche Verlangsamung der Relaxation kann hingegen mit einem speziell geformten Lichtpuls erzielt werden.

Um den Reaktionsverlauf zu verfolgen, werden in der Chemie typischerweise verschiedene spektroskopische Methoden eingesetzt. Lichtinduzierte Prozesse lassen sich beispielsweise mittels transienter Absorptionsspektroskopie verfolgen. Wir haben auch transiente Absorptionsspektren auf der Femto- bis Nanosekunden Zeitskala simuliert, um experimentelle Spektren besser zu verstehen und so die ultraschnelle Bildung von Reaktionsprodukten und deren Sekundärreaktionen aufzuklären.

In diesem Themenfeld verwenden wir größtenteils quantenchemische und quantendynamische Methoden sowie optimale Kontrolltheorie.

Photosynthese

Die Photosynthese ist ein faszinierender Prozess, in dem Pflanzen und einige Bakterien Lichtenergie in chemische Energie umwandeln. Die dabei gebildeten chemischen Energiespeicher wie Zucker dienen unzähligen lebenden Organismen als Energiequelle. Wir wollen mit Hilfe von Multiskalenmodellierung zum besseren Verständnis der Photosynthese beitragen. Dabei wollen wir nicht nur ein klareres mikroskopisches Bild der biologischen Photosynthese erhalten, sondern auch dazu beitragen, bessere technische Wege zu finden, um die Sonne als Energiequelle zu nutzen. 

Wir sind insbesondere am Zusammenspiel von Proteindynamik auf der Mikrosekundenzeitskala und Quanteneffizienz, der Regulation von pflanzlicher Photosythese auf der Ebene der Thylakoidmembran, sowie der Bedeutung von Protein-Protein- und Protein-Lipid-Wechselwirkungen interessiert. Dabei kommen vor allem die Methoden grobkörnige Moleküldynamik und lineare Antworttheorie zur Anwendung.